„Fear is a super important thing …and without fear you will die.“
Jeb Corliss
Am 16.01.21 um 17:00 Uhr hat die erste erfolgreiche Winterbegehung des K2 (8,611m) im Himalaya Gebirge stattgefunden. Nach zuvor gescheiterten Expeditionen ab einer Höhe von ungefähr 7,634 Metern haben es zehn nepalesische Alpinisten, die sich selber als Sherpas betiteln, auf den Gipfel geschafft. Ziemlich zeitgleich ist der spanische Alpinist Sergi Mingote abgestürzt und auf Grund seiner Verletzungen gestorben. Einen guten Voreinblick und eine ausführliche Zusammenfassung zu den unterschiedlichen Routen, der Geschichte um den Berg K2, die jeweiligen Expeditionsteams und Teilnehmer bietet der Blogeintrag K2 in Winter: Can it Ever Be Done? von Alan Arnette (2019) auf der Internetseite Rock and Ice. Neben diesen Informationen und aktuellen Neuigkeiten, die zu der Begehung momentan eintrudeln, interessiert uns vielmehr die Psychologie hinter dem Phänomen, dass Menschen sich in solche Ausnahmesituationen und Extreme begeben. Menschen, die fast alle an ihre Grenzen kommen oder diese sogar überschreiten.
Reinhold Messner war einer der ersten Extrembergsteiger, der alle Achttausender ohne Zusatzsauerstoff bestiegen hat. Nach ihm reihten sich weitere in die Liste ein. Inzwischen ist das Besteigen der höchsten Berge der Welt in einen Massentourismus ausgeartet. Selbst Personen, denen die nötigen Ressourcen für solch eine Begehung fehlen, meinen dieses Erlebnis, für eine gewisse Geldsumme auf ihrer „to Do“ Liste abhacken zu müssen.
Aber welche psychologischen Konzepte und Theorien könnten dieses Verhaltensphänomen erklären? Ist es reine Selbstverwirklichung, der Nervenkitzel oder doch Größenwahn?
Unter Selbstverwirklichung versteht man die Fähigkeit beziehungsweise Möglichkeit, die beste Version seines Selbst zu werden (Maslow, 1943). Nervenkitzel oder der psychologische Begriff Sensation Seeking beschreibt ein Persönlichkeitsmerkmal, welches sich aus dem Bedürfnis nach Abwechslung und neue, komplexe Eindrücke und Erfahrungen zu erleben, zusammensetzt. Personen mit einem hohen Level an Sensation Seeking setzen sich extremeren körperlichen und sozialen Risiken aus (Zuckerman, 1979). Es konnte festgestellt werden, dass Kletterer und Alpinisten höhere Werte in diesem Bereich erzielten (Cronin, 1991; Klinar et al. 2017). Eine weitere Studie (Breivik, 1996) konnte sogar feststellen, dass Teilnehmer der norwegischen Everest Expedition höhere Werte auf der Sensation Seeking Skala erzielten im Vergleich zu anderen Kletterern. Sie waren eher bereit, größere Risiken bei körperlichen und sogar ökonomischen und politischen Entscheidungen einzugehen.
Ein Großteil der Bevölkerung würde solche Expeditionen und die Art von sportlicher Aktivität als Größenwahn abtun. Einzelne Personen, die meinen, sich und anderen etwas beweisen zu müssen. Es muss der höchste Berg sein, die extremsten und schwierigsten Umstände, um sich „gottesgleich“ an der Bändigung der Natur zu versuchen und sein eigenes Ego damit zu pushen. In der Fachliteratur werden in dem Fall häufig Begrifflichkeiten wie das Hybris Syndrom oder Narzissmus verwendet. Wiederrum andere empfinden eine tiefe Bewunderung und Faszination gegenüber den alpinen Extremleistungen. Menschen, die zu ihren Höchstformen auflaufen und es schaffen, ihre eigenen Grenzen zu überwinden mit viel Disziplin und Selbstkontrolle. Bei vielen mag es sich auch um eine Mischung handeln.
Am Beispiel des Mount Everest kann man beobachten, in welche Richtung sich das Besteigen der Achttausender entwickelt. Die Anzahl der Besteigungen lag Ende 2018 bei 8400 Menschen darunter aber nur ein geringer Anteil ohne Zusatzsauerstoff. Die Anzahl der Todesfälle betrug zu der Zeit etwa 300. Die Zahl der erfolglosen Begehungen liegt bei über 30.000 Menschen darunter auch eine höhere Anzahl an Toten. Eine weitere Thematik, die der Massentourismus mit sich bringt, ist der Abfall der dort produziert und hinterlassen wird. Inzwischen wird versucht, durch Müllpfand und „Säuberungs-Expeditionen“ dagegen zusteuern. Trotzdem bleibt die Entsorgung der Abfallberge noch immer eine enorme Herausforderung für die dort lebenden Menschen als auch ökonomisch gesehen (die Summe wird auf rund sieben Millionen Euro geschätzt). Jedoch birgt der Tourismus für viele Nepalesen und Sherpas, eine Chance und Möglichkeit der Armut und Arbeitslosigkeit zu entfliehen.
Was meint ihr, wie sich das Bezwingen aller Berge auf die Menschen und die Natur auswirken? Welche Formen nimmt diese Entwicklung an? Und welche Motivatoren stecken hinter der Bezwingung der Achttausender?
Wir sind gespannt auf eure Meinungen und Eindrücke zu dem Thema!
Schöner Artikel. Habe auch Freunde, die einen Achttausender auf ihrer Bucketlist haben und denen ich zutraue diesen Wahn auch zu verwirklichen. Bergerfahrung Pustekuchen und an sportlichen Erfolgen bisher nur die Teilnehmerurkunde bei den Bundesjugendspielen. Menschen, die für den Weg vom Bus bis Heim einen BirdyRoller nehmen… Aber das Motto „You only live once“ und die Bilder auf Insta sind bei vielen Menschen stärker als jede Vernunft. Endlich etwas besonderes sein, endlich aus der Masse herausstechen… So wie damals, als Mama einem noch gesagt hat, dass man das tollste Kind der Welt ist, weil man es allein auf die Rutsche geschafft hat. Leider hört Mama bei vielen irgendwann auf mit ihren Komplimenten und in Schule, Karrierewelt und Online muss man eben mehr leisten als eine Rutsche zu erklimmen um Anerkennung (oft missverstanden und verwechselt mit Zuneigung) zu bekommen…
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